aus / from: Neue Westfälische vom 29. Januar 1994

Der letzte König des Kontrapunkts - Moondog

Von Thomas Klingebiel

In den 50er und 60er Jahren war Louis Hardin alias Moondog in New York eine stadtbekannte Kultfigur. An der Ecke 54th Street/6th Avenue bearbeitete der rauschebärtige Tonsetzer seine Trommel, rezitierte dazu eigene Gedichte. Das Hilton-Hotel warb in einer Zeitungsanzeige mit der Adresse: "Gegenüber von Moondog". Charlie Parker, Toscanini, der junge Bernstein - alle kannten das mit Wikingerhelm und Normannenspeer ausgerüstete Original und zeigten sich von seinen Kompositionen beeindruckt. Anfang der siebziger Jahre blieb der blinde Musiker nach zwei Frankfurter Radio-Konzerten in Deutschland und tippelte unerkannt durch die Innenstädte von Hamburg und Hannover, bis...

Bis ihn die Geologiestudentin Ilona Göbel 1976 in Gelsenkirchen von der Straße holte. Seit einigen Jahren erlebt Moondog ein furioses Comeback als angeblicher Gründervater der Minimal Music.

Nichts bringt diesen Mann so aus der Fassung wie Verstöße gegen die Spielregeln der Tonalität. Da kennt der sanftmütige Herr mit dem weißen Druidenbart kein Pardon. Auch nicht gegenüber Johann Sebastian Bach selig, dem er manchen schlimmen Patzer nachweisen kann. Louis Hardin (77), der sich seit 1947 Moondog nennt, sucht einen Vergleich. "Das ist, als wenn man ein Zimmer nicht durch die Tür verläßt; sondern einfach durch die Wand bricht." Moondog, ein Gentleman alter Tonsetzer-Schule, geht stets zur Tür hinaus. "Es ist immer eine da", sagt er.

Aufrecht wie auf einem Thron sitzt Louis Hardin im Büro seiner Bochumer Plattenfirma Roof Music. Unter der roten Wollmütze legt sich die Stirn in Falten. Leicht beugt er sich nach vorne, als wolle er durch seine wallenden Barthaare etwas ganz Geheimnisvolles flüstern. "Wenn Sie Benny Goodman mit seiner Band improvisieren hören, macht er alle möglichen kontrapunktischen Fehler. Falsche Stimmführung, oh, das verletzt meine Ohren." Allenfalls Count Basie oder Duke Ellington läßt er gelten, aber auch bei ihnen hört er lieber nicht so genau hin. "Solange sie Akkorde spielen, ist alles in Ordnung. Nur wenn sie anfangen, darüber zu improvisieren ..." Moondog stößt ein jammervoll moduliertes "ohohohohoh" aus und hebt abwehrend beide Hände. Das müssen Qualen sein.

Obwohl viele Kompositionen des mit 16 Jahren nach einem Unfall erblindeten Missionarssohns wie improvisierter Jazz klingen, zum Beispiel seine Hommage an den legendären Tenorsaxophonisten Lester Young (Present for the Prez), ist jeder einzelne Ton von ihm notiert. "Nur ein Komponist", sagt er, "kann korrekte Musik schreiben, nur er kann improvisieren, weil er der einzige ist, der den Überblick hat."

Sicherlich gehört er zu den Menschen, die gern alles unter ihrer Kontrolle wissen? "Oh, ja." Aber sind nicht Fehler und Regelverstöße notwendig, um neue Entwicklungen in Gang zu setzen? "Das ist immer eine gute Entschuldigung. Ich kann alle möglichen neuen Dinge machen, ohne tonale Beziehungen zu verletzen. Man muß kein neues Alphabet erfinden, um ein Dichter zu sein."

Louis Hardin ist einer der letzten Hüter der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Lehre vom Kontrapunkt. Rhythmische Grundlage seiner Werke, gleich ob er für Sinfonieorchester, Streichquartett oder neun Saxophone schreibt, ist stets ein vorwärtsdrängender, in der indianischen Musik wurzelnder Beat. Gelegentlich bedient er sich auch ungerader 5/8- oder 7/2-Taktarten. Darüber baut er, mit mathematischer Strenge und penibel das eherne Regelwerk der Kontrapunktik befolgend, eigenartig verschachtelte, synkopierte Melodien. Seine bevorzugten musikalischen Formen sind Kanon und Chaconne. "Ohne Form", bekennt er, "würde ich mich nicht frei fühlen."

Der Nachfahre des texanischen Revolverhelden John Wesley Hardin, der auf einer Blindenschule in Iowa Musik studierte, bezieht sein kompositorisches Rüstzeug aus der Mottenkiste der Musikgeschichte, aber was seine Werkstatt in Oer-Erkenschwick verläßt, klingt alles andere als antiquiert. Der leichtfüßig-gefällige, ja bisweilen sogar ohrwurmverdächtige Charakter dieser hochkomplizierten tonsetzerischen Fleißarbeiten ist immer wieder frappierend. Wer je Moondogs swingendes Paris, Paris gehört hat oder seine EEC-Suite, eine Hymne auf die Europäische Gemeinschaft, dem gehen diese wunderbaren Melodien so schnell nicht aus dem Kopf. Qualitäten, die auch Janis Joplin, die seinen Song All is Loneliness aufnahm, früh erkannte.

Das größte Problem Moondogs ist seit jeher, Musiker zu finden, die seine Kompositionen Note für Note korrekt spielen können. Die Mitglieder des britischen Saxophon-Ensembles The London Saxophonic, mit dem er einige Konzerte gab und auch seine neue, Anfang Februar erscheinende CD aufnahm, seien die besten, mit denen er jemals zusammengearbeite habe. "Wunderbare Musiker", schwärmt er und setzt hinzu: "Sie machen fast nie einen Fehler". Nach Gütersloh kommt er mit dem Braunschweiger Dubonaire Saxtett. Dem Konzert geht ein intensives Probenwochenende voraus.

Neuerdings, zuerst auf der 1991 herausgekommenen CD Elpmas, läßt Moondog seine bis zu 36-stimmigen Kanons vom Computer berechnen. "Der Computer betrügt mich nicht. Meine Musik ist sehr schwierig, und er spielt sie so, wie sie geschrieben ist. Was ich nicht mochte, war der synthetische Klang. Aber wir nehmen jetzt akustische Instrumente auf und geben sie dann in den Computer. Kein Musiker kann den Unterschied hören."

Spätes Glück eines besessenen Klangperfektionisten.


Konzert: Sonntag, 13. Februar, 20 Uhr, Städtisches Gymnasium Gütersloh;
Vorverkauf: Alte Weberei,
Tel. (05241) 2 60 33.

diskografie

Moondog (Prestige OJCCD-1741-2)
More Moondog & The Story Of Moondog (Prestige CDJZD 006)
Moondog & Moondog 2 (CBS MK 44 994)
Moondog in Europe (Kopf Records, CD KD 33 01 40)
H'art Songs (Kopf Records CD KD 33 01 60)
A New Sound Of An Old Instrument (Kopf Records CD KD 13 30 17)
Elpmas (Kopf Records CD KD 12 33 14)