Moondog's Corner Main Page


(aus unermittelter Zeitschrift, 1992)

Moondog im Gespräch

Auszüge aus einem Interview; das Werner Stiefele 1992 mit Moondog führte.


So, wie Sie dasitzen, sehen Sie wie ein indischer Weiser aus.

Ja? Ich bin sehr von Konfuzius und Ying und Yang beeinflußt. Mich interessiert Philosophie  gleichgültig, ob sie von Griechenland, Europa oder Afrika stammt. Ich denke, das gehört zum Eklektizismus. Ich nehme das von hier und das von dort. Was auch immer mir gefällt, akzeptiere ich, und was mir nicht gefällt. akzeptiere ich nicht.

Was kann Musik bei Menschen bewirken?

Ich bin gegen alle Maschen. Es gibt Komponisten, die orientieren sich am Geschmack des Monats. Sie bringen immer wieder neue Konzepte, mal die Atonalität, mal die Polytonalität. Ich akzeptiere nichts von alledem und schreibe strikt tonale Musik. Ich glaube an die Melodie, an einfache Harmonien und Rhythmen. Das heißt: Ich rebelliere gegen die Rebellen. Ich bin ein doppelter Rebell, denn sie rebellieren gegen die Tonalität, und ich rebelliere gegen sie.
Andererseits bin ich mir sicher: 99 Prozent aller Menschen mögen tonale Musik. Sie akzeptieren keine Atonalität von Schoenberg. Für mich ist das steril und tot. Das hat keine Bedeutung. Viele Komponisten erkennen, daß die Orchester ihre Musik nicht spielen und die Leute dies nicht hören wollen.

Wirkt Ihre Musik auf eine besondere Weise auf die Hörer?

Das macht jede Musik. Entweder positiv oder negativ. Das ist keine Prahlerei, das ist eine Tatsache. Ich bin wahrscheinlich der einzige lebende Komponist, der kontrapunktische Fehler vermeidet. Ich rede von den Durchgangs- und Wechseltönen. Bei jedem Komponisten findest du hier Fehler von Bach bis zu Beethoven, Mozart, Haydn.
Keiner macht mehr Fehler als ich, aber ich habe die Zeit, das zu analysieren. Letztendlich beseitige ich sie, indem ich meine Musik analysiere. Bach machte das in der Hälfte oder zwei Drittel der Fälle auch, aber dann gibt es ein Drittel, wo er das nicht gemacht hat. Ich habe das Gefühl, er hat sich nicht die Zeit genommen. jeden Teil, jede Note zu analysieren.
Wahrscheinlich hatte er wegen seiner Kinder nicht genügend Zeit. Außerdem mußte er für jeden Sonntag eine Kantate schreiben und viele Schüler unterrichten. Das ist in Ordnung. Aber ich will einen Komponisten nicht entschuldigen, wenn er Zeit hat und sich die Zeit nicht nimmt, um zu analysieren, was er macht. Musik zu analysieren ist die langweiligste Arbeit, die ich mir vorstellen kann. Ich muß dabei immer wieder aufstehen, damit ich nicht einschlafe. Andererseits klingt meine Musik so transparent, weil genau ich diese Fehler vermeide.

Warum bevorzugen Sie die Kanonform?

Weil sie die strikteste aller Formen ist.

Sie haben auch kräftige Rhythmen?

Nicht die gesamte Musik hat Drumbeats, aber viel von dem, was ich mache. Ich dirigiere von der Trommel aus. Die Spieler können meinen Stab hören und sehen. Wenn ich den Stab nur bewege, hat das nicht dieselbe Auswirkung auf einen Spieler, als wenn er den Stock auch hören kann. Die Kombination von Sehen und Hören ist sehr gut für die Musiker. Wenn sie spielen, sind sie von der Musik aufgesogen, und dann gehen sie mit dem Klang.
Das ist der Klang des Herzschlags. Ich habe das von den amerikanischen Indianern. Sie haben zwei Geschwindigkeiten, die Gehgeschwindigkeit und die Laufgeschwindigkeit. Die Laufgeschwindigkeit ist ein Jazzbeat, und die Gehgeschwindigkeit ist die Hälfte davon. Die benutzen wir in den langsamen Sätzen.
Der Swingbeat im Jazz ist nichts Afro-Amerikanisches. Das ist ein indianischer Beat. Nirgendwo sonst auf der Welt hört man diesen einfachen, konstanten Herzschlag, den die Sioux, die Apachen, die Cheyenne und die Blackfoot Indianer schlagen. Nicht einmal in Südamerika. Das ist die Sache der Indianer aus den Plains.

Lebten Sie eine Weile mit den Indianern?

Nur als Besucher. Mein Vater war ein Missionar und er ging zu einer Versammlung. Damals war ich fünf oder sechs. Ich hörte die Sonnentanz-Zeremonie, und ihr Häuptling ließ mich auf seinem Schoß sitzen und die Trommel schlagen. Das hatte einen großen Einfluß auf mein Leben.

Wie kamen Sie zur professionellen Musik?

Ich verlor 1932 mein Augenlicht. Damals war ich sechzehn. Eine kleine Sprengladung ist explodiert, ein Metallplättchen mit Pulver drin. Man legte sie beim Eisenbahnbau als Signal auf die Schienen. Ich spielte mit einer rum, und sie explodierte. Ich war sofort blind.

Sind Sie völlig blind oder sehen Sie schwarz-weiße Schatten?

Bei einem Auge wurde die Linse herausgenommen. Wenn ich direkt in die Sonne blicke, sehe ich ein leichtes Flackern. Ich vermisse meine Augen sehr, denn vor 60Jahren habe ich gejagt und gefischt. Ich bin sehr viel geritten und war ein guter Gewehrschütze. Wir hatten in Wyoming eine eigene Ranch und einen Strom, der durch die Ranch ging. Aber es gibt einen Ausgleich. Wenn ich sehen könnte, wäre ich nie Komponist geworden. Vielleicht wäre ich im zweiten Weltkrieg umgebracht worden? Jedenfalls studierte ich in der Blindenschule von Iowa Musik. Dabei interessierte mich die klassische Musik immer mehr Ich hörte meine ersten 78er-Platten: eine Beethoven-Sonate, Teile aus Wagners Zyklus "Der Ring der Nibelungen", die vierte Symphonie von Tschaikowsky und einiges aus Richard Strauss' "Till Eulenspiegel". Ein Jahr nachdem ich blind wurde, las mir meine Schwester ein Buch "Die erste Violine" vor. Seitdem wollte ich Komponist werden. 1942 hatte ich ein Stipendium für ein Musikstudium in Memphis, Tennessee, und 1943 kam ich nach New York. Als ich 1974 zu einem Konzert für den Hessischen Rundfunk nach Europa kam, wollte ich eigentlich wieder nach Hause zurück. Aber dann gefiel es mir so gut in Deutschland, daß ich blieb. 1976 traf ich Aluna. Sie lud mich ein, bei ihrer Familie zu leben, und dort bin ich seitdem.

Hören Sie viel Musik?

Wenn im Radio Musik kommt, muß ich es ausmachen. Ich halte all diese Fehler nicht aus. Ich kann sie hören. Sogar bei Bach. Im Wohltemperierten Klavier macht er schon in der ersten Fuge in Takt zwei auf dem vierten Schlag einen schrecklichen Fehler! Am Anfang der ersten Fuge fand ich zehn Fehler - und das kleine Stück war nur etwa 20 Takte lang.
Mozart ist ebenso voll mit Fehlern. Haydn, Beethoven, sie alle. Wenn es einen Grund gibt, warum die meisten Menschen keine klassische Musik mögen, kann das daran liegen, daß sie intuitiv fühlen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Aber daran sind nicht wir schuld, sondern die Komponisten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Viele Leute, die keine klassische Musik mögen, stehen auf Popmusik. Da gibt es sehr viel mehr Fehler.

Von Leuten, die Popmusik schreiben, erwarte ich überhaupt nicht, daß sie wissen, was das Wort Kontrapunkt bedeutet. Sicher gibt es Ausnahmen. Und in der Folk Musik dasselbe. Wenn jemand eine Melodie ohne Begleitung singt, kann er keine Fehler machen. Aber sobald man zwei Melodien verknüpft, muß man wissen, was man macht

Der Minimal-Musiker Philip Glass beruft sich auf Sie. Er nannte Sie den "Leader of the pack".

Ich kenne Steve Reich, Phil Glass und Terry Riley und habe mit ihnen gesprochen. Phil Glass sagt, ich sei der Anführer der ganzen Bande, weil ich das ganze minimalistische Ding begonnen hätte. Ich bezweifle, ob ich das als Kompliment annehmen soll, denn sie folgen nicht im geringsten den Regeln des Kontrapunkts. Ihre Musik klingt wie eine Horde Grillen in den Wäldern. Das ist eine schöne Musik, das ist ein angenehmer Klang. Aber es ist nur eine angenehme Kakophonie. Phil Glass und Steve Reich wandern zu Tönen, die keinerlei Beziehung zueinander haben. Ich aber entdeckte die Gesetze, die Expansion und Kontraktion bestimmen. Oder anders rum: Kontraktion und Expansion. Das ist keine Theorie, das ist eine Tatsache. Der Schlüssel liegt in den ersten neun Obertönen. Sie enthalten eine versteckte Botschaft von dem, der das Universum geschaffen hat. Ich nenne ihn Mastermind.
Diese Obertöne sind Klangwellen. Sie existieren, seit das Universum geschaffen wurde, Wer auch immer das Universum schuf, wenn es je geschaffen wurde: Er plazierte in den Obertönen eine Botschaft für ein intelligentes Wesen, damit sie irgendwann entdeck würde. Nach vielen Jahren des Nachdenkens über die Obertöne bin ich der Glückliche.
Der Mastermind gab uns neun Obertöne, die er in einer bestimmten Ordnung arrangierte. Weil ich ein Komponist bin, wollte ich sehen, wie ich die Obertöne thematisch entwickeln kann. Und beim Herum-Manipulieren und Verwenden verschiedener Hilfsmittel konnte ich das Geheimnis entschlüsseln. Kontraktion und Ausdehnung sind zwei Seiten einer Medaille.
Ich erwarte nicht, daß die Gemeinde der Wissenschaftler, der Religion oder der Musik akzeptiert, was ich getan habe. Es kann sein, daß ich sterbe, ohne daß die Wissenschaftler zumindest sehen wollten, was ich gemacht habe. Ich habe diese Information an Wissenschaftsmagazine und -Organisationen gesandt. Keine Antwort. Sie wollen das nicht einmal wissen. Das ist so traurig und gibt mir das Gefühl, daß die Wissenschaftler so engstirnig und reaktionär sind, wie es die Mönche in der Zeit von Galileo waren. Nun hat man die neun Obertöne, die uns der Mastermind gab. Sie waren immer da. Durch die Folge des Gesetzes der Verkleinerung baut man eine Pyramide. Neun Obertöne sind eine Schicht. Die zweite Schicht ist die Hälfte der Entfernungen, und die dritte die Hälfte davon. So ist jede Schicht die Hälfte von der zuvor. Sie passen alle zusammen und ergeben eine perfekte Harmonie, einen perfekten Kontrapunkt nach den Gesetzen, die von Pythagoras entdeckt und festgehalten wurden. Diese Pyramide, völlig aufgebaut auf musikalischen Tönen, bestätigt Kontraktion und Expansion. Es zeigt auch andere Dinge. Es zeigt, daß Ursache und Wirkung umgedreht werden können. Nun bin ich in der Position eines Boten. Wir kennen das aus der griechischen Tragödie. Als der Bote zum König kam und sagte: Sie gewannen den Krieg, aber ihr Sohn ist tot, da nahm der König sein Schwert und tötete den Boten. Ich bin in dieser Position. Ich bin ein Bote und berichte nur, was ich herausgefunden habe. Und mein Dank dafür wird sein, daß ich umgebracht werde.
Was ich entdeckt habe, ist sehr gefährlich, denn es wirft Theorien um. Es zeigt, daß es ein intelligentes Wesen außerhalb gibt, das über die Kreaturen nachdenkt, die es geschaffen hat. Der Mastermind denkt viel an uns und will, daß wir wissen, wie der Kosmos zusammengesetzt ist.
Das ist eine unglaubliche Idee. Wer hätte sich das vorstellen können, daß das Wesen, das das Universum geschaffen hat, will, daß wir wissen, worum es bei all dem geht Das ist ein Kompliment an uns. Das bringt uns auf dieselbe Ebene wie ihn. Ich will von dir hören, was ich gemacht habe. Ich will, daß du weißt, was die Gesetze sind, die die Konstruktion des Universums regieren. Das Grundlegende dessen, was der Kosmos ist, das Universum, das ist Zusammenziehung und Ausdehnung.
Hubble brachte die Idee auf, der Kosmos expandiere und erklärte sich vieles mit dem Doppler-Effekt. Aber man muß nicht ins Universum mit Teleskopen rausgehen. Die Obertöne haben wir direkt hier. Das ist in deiner Stimme. Jede Kreatur hat einen Hals, und die Obertöne sind da. Wir sind das Zentrum des Universums. Man muß nicht rausschauen und nach dem Zentrum des Universums suchen, das ist direkt hier, wo wir sind. Ich bin stolz, daß ich das entdeckt habe. Ich will dafür keine Anerkennung. Ich bin darüber gestolpert. Ich habe diese Botschaft nicht einmal gesucht. Ich habe nur nach einem Weg geschaut, wie ich die Obertöne in eine thematische Struktur bringen kann. Das kam durch einen Zufall.
Eins wird zwei, zwei werden vier. Eine ganze Note wird zwei halbe. Das ist in der ganzen Natur so. Man hat eine Erdnuß. Man denkt, das sei ein Ding. Man sieht das. Man tut sie in die Erde, und nach einer Weile kommt die Erdnuß heraus, geteilt in zwei Blätter. Die ersten Blätter. Zwei. Die Doppeltheit Das ist auch mit den Obertönen. Bohnen, Erbsen, das alles teilt sich in zwei. Auch Haselnüsse teilen sich in zwei. Das Gesetz der Verkleinerung ist das Teilen.

Warum heißen Sie Moondog?

Ich hatte einen Hund, der den Mond anheulte. Die ganzen Zeitschriften sagten, es sei ein Blindenhund gewesen. Er war kein trainierter Hund. Es war nur ein normaler Hund. Ich gab ihm den Namen Moondog. Damals dachte ich, ich hätte den Namen erfunden. Aber er ist alt. Schon die Indianer hatten einen Moondog und einen Sundog. Der Moondog erscheint auch in der nördliche Sage, der Edda, und ist der Name eines Giganten.


Vermutlich geht die ahnungslose Fragerei von Stiefele noch weiter, aber ein gütiges Geschick hat uns nur diesen Teil des Interviews erhalten.