aus / from: Neue Westfälische vom 10.2.1994

"Ich rebelliere gegen die Rebellen"
Interview mit dem Komponisten Louis Hardin alias Moondog vor seinem Gütersloher Konzert

Von Thomas Klingebiel


Komponist Louis Hardin (77) alias Moondog, schon in den fünfziger und sechziger Jahren legendäre Figur der New Yorker Musikszene und seit Mitte der siebziger Jahre im nordrhein-westfälischen Oer-Erkenschwick ansässig, gibt Sonntag, 13. Februar, 20 Uhr (Einlaß: 19 Uhr), ein Konzert in der Aula des Städtischen Gymnasiums. Auf dem Programm steht Musik für neun Saxophone, Piano, Schlagwerk und Gesang, erstmals öffentlich aufgeführt vom Braunschweiger "Dubonaire Saxtett" und Moondog selbst. Der Gütersloher Premiere geht ein intensives Probenwochenende im Jugendgästehaus an der Wiesenstraße voraus. Pünktlich zum Tourneeauftakt erscheint auch Moondogs neue, mit dem Ensemble "The London Saxophonique" aufgenommene CD. Sein letztes, 1992 erschienenes Opus "Elpmas", war von der Kritik enthusiastisch gefeiert worden. Vor dem Gütersloher Konzert sprach Thomas Klingebiel mit Louis Hardin.

F: Sind Sie mit den Aufnahmen für ihre neue CD zufrieden?

Moondog: Ich bin nie mit etwas ganz zufrieden, aber sie ist gut genug. Um ehrlich zu sein: Ich kann immer einige Stellen finden, wo ich besser sein könnte.

F: Ihre erste Platte erschien in den fünfziger Jahren auf dem Jazzlabel "Prestige", und auch die Musik ihrer aktuellen CD klingt wie swingender Big Band-Jazz. Sie selbst bezeichnen diese Musik als "Zajaz". Was ist das?

Moondog: Meine Musik ist im Grunde klassische Musik, auch mein Jazz ist an klassischen Formen orientiert. Aber wenn ich "Jazz" sage, meine ich nicht, daß er afro-amerikanisch beeinflußt ist, sondern amerikanisch-indianisch. Die Musik der Indianer ist so synkopisch, so jazzig. Sie müßten die Sioux-Indianer hören, wenn sie ihren Sonnentanz aufführen. Das ist meine Art von Jazz. "Zajaz" bedeutet, daß meine Musik wie ein Januskopf ist: ein Gesicht schaut in die Vergangenheit, das andere in die Zukunft. Es ist ein etwas anderer Jazz. Niemand schreibt Jazz so wie ich.

F: Jede einzelne Note ist bei Ihnen komponiert. Haben Sie Angst vor der Freiheit des Improvisierens?

Moondog: Ich fürchte mich nicht vor der Freiheit. Das Problem ist, wenn jemand gegen ein Orchester improvisiert, bricht er alle möglichen kontrapunktischen Regeln. Nur ein Komponist kann korrekte Musik schreiben. Ich kann meine Musik sehr improvisiert klingen lassen, aber sie ist es nicht. Alles ist komponiert in genauer Übereinstimmung mit dem, was jeder einzelne Musiker macht. Wenn jemand solo spielt oder nur vom Schlagzeug begleitet, kann er soviel improvisieren wie er will. Aber wenn man zwei Melodien zusammenfügt oder große Akkorde mit improvisierten Melodien, fangen die Schwierigkeiten an. Sogar Johann Sebastian Bach hat Regeln gebrochen, manches von ihm steckt voller Fehler. Kein Wunder, daß er soviel Musik geschrieben hat: Er hat sein Zeug nie analysiert, sonst hätte er diese Fehler gefunden, denn er wußte natürlich, was richtig und was falsch ist. Aber man braucht mehr Zeit, ein Stück zu analysieren, als es zu schreiben. Und es ist so langweilig. In einem 16stimmigen Kanon hat man bei jeder Note die Chance, 120mal daneben zu liegen.

F: Muß man nicht Fehler machen und gegen die Regeln verstoßen, um Neues zu entdecken?

Moondog: Das ist immer eine gute Entschuldigung. Aber man braucht kein neues Alphabet erfinden, um ein Dichter zu sein. Die Leute, die das machen, sind nicht an der Musik interessiert, sondern an der Sensation, an persönlichem Ruhm. Wenn man Schönberg und Hindemith die Rebellen nennt, dann rebelliere ich gegen die Rebellen, indem ich die alten Werte bewahre. Ich muß meinen Weg gehen.

F: Die Möglichkeiten der Tonalität sind Ihrer Ansicht nach noch nicht ausgeschöpft?

Moondog: Ich kann alle möglichen neuen Sachen machen, ohne tonale Beziehungen zu verletzen.

F: Sie haben durch einen Unfall beim Gewehrladen mit 16 Jahren das Augenlicht verloren. Hat die Erblindung ihre Art zu komponieren beeinflußt? Würden Sie als Sehender anders komponieren?

Moondog: Ich bin sicher, daß es mich befähigt, mich viel mehr zu konzentrieren, als ich es würde, wenn ich sehen könnte. Außerdem: Ich hätte niemals eine Chance gehabt, Musik zu studieren. Ich hätte es mir nicht leisten können. Ich hätte in den Krieg ziehen müssen und wäre möglicherweise getötet worden. Vielleicht habe ich sogar Glück gehabt.

F: Ihre Musik scheint sich seit den fünfziger Jahren nicht viel geändert zu haben. Wie sehen Sie das selbst?

Moondog: Nein, mein Stil hat sich kaum verändert. Auf der neuen CD sind Kompositionen aus den frühen fünfziger Jahren und einige aus den letzten zwei, drei Jahren. Ich habe einige neue Formen erfunden, zum Beispiel den Triple-Kanon, aber das ist mehr ein Ergebnis meines klassischen Trainings. Ich bilde mir nichts darauf ein.

F: Nach einigen Plattenveröffentlichungen in den 70er Jahren ist es bis 1989, dem Jahr ihres Comebacks bei einem Minimal-Music-Festival in New York, relativ still um Sie geblieben. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Moondog: Ja, es hat einige Zeit dauert, bis ich mich in Europa etablieren konnte In diesen Jahre habe ich einige Konzerte hier und da gegeben, aber längst nicht genug. Ich wollte viel mehr machen, aber man kannte mich hier überhaupt nicht. Seit "Elpmas" herauskam ist es etwas besser geworden. Ich habe mehr Publizität als vorher bekommen, das hilft. Aber mit den Konzerten hält es sich immer noch in Grenzen, und ohne Konzerte verkauft man nicht viele Platten. Die Geschäfte führen sie einfach nicht. Die halten sich an die Hitparaden.

F: Stimmt es eigentlich, dass Sie ein Nachfahre des texanischen Revolverhelden John Wesley Hardin sind?

Moondog: Ja, man hat mir erzählt, wir seien entfernte Verwandte von John Wesley Hardin. Ich hab' das mal einem Mann in Texas geschrieben. Er schrieb zurück: "Ja, ja, jeder hier ist verwandt mit ihm". Er hat es nicht geglaubt (lacht).

F: Sie werden oft als Gründervater der Minimal Music bezeichnet. Stimmen Sie dem zu?

Moondog: Ich betrachte das als eine Ehre, aber meine Musik ist nicht minimalistisch. Ich mag zum Beispie Philip Glass persönlich, aber musikalisch betrachtet sind wir wie Öl und Wasser. Sie wissen, das mischt sich nicht.

F: Wie lebt es sich in Oer-Erkenschwick?

Moondog: Seit 1976 lebe ich im Haus der Göbel-Familie. Sie steht mir näher als meine eigene Familie. Vielleicht ist das Sprichwort, wonach Blut dicker als Wasser ist, falsch.

F: Sind Sie wunschlos glücklich, oder vermissen Sie doch etwas?

Moondog: Ich würde vielleicht lieber in einer Gegend leben, wo es mehr Berge und Wälder gibt, in denen ich herumspazieren könnte. Wir können hier natürlich in den Wald gehen, aber man muß erst mit dem Auto hinfahren. Ich hätte es lieber, wenn der Wald direkt vor der Haustür wäre. Wer weiß, vielleicht bekommen wir das eines Tages noch.

F: Was sind Ihre nächsten Pläne, musikalisch?

Moondog: Mehr Konzerte, mehr Platten, mehr komponieren.