aus / from: SonntagsZeitung (Schweiz), 30. August 1992

Der Vergessene und sein Botschafter
Popstar Stephan Eicher will den amerikanischen Komponisten Moondog in der Schweiz bekannt machen

von René Pfister


Mit einem vielversprechenden Auftakt beginnen heute die 17. Winterthurer Musikfestwochen: Stephan Eicher und das Stadtorchester Winterthur singen und spielen Kompositionen des blinden amerikanischen Komponisten Louis Hardin alias Moondog. Die SonntagsZeitung traf Eicher und Moondog in Engelberg.

"Moondog ist ein phänomenaler Komponist, der es verdient, ein Star zu werden", sagt Stephan Eicher, der vom 76 Jahre alten Amerikaner einiges gelernt hat, wie er bei einem lockeren Treffen auf der Terrasse eines Engelberger Hotels betont: "Disziplin zum Beispiel und Noten lesen. Aber auch menschlich ist er für mich ein Vorbild", lobt Eicher den Erschaffer "zeitlos schöner Musik zwischen Folk-Songs und Minimal Music" ("Der Spiegel").

Der hierzulande nur Insidern bekannte Komponist, der mit seinem wallenden Rauschebart bestens ins Engelberger Alpenpanorama passt und Eichers Grossvater sein könnte, witzelt derweil drauflos: "Jetzt bin ich ein Full-Moon-Dog, ein Vollmond-Hund respektive voller Mondhund", sagt Moondog in Anspielung auf die zwei Halbliter-"Chacheli" kuhwarme Milch, die er gerade droben auf der Alp getrunken hat.

Eicher und sein Manager Martin Hess, die den heutigen Auftritt von Moondog in Winterthur angeregt haben, lachen schallend. Sie fühlen sich pudelwohl mit dem Nachfahren des texanischen Revolverhelden John Wesley Hardin, der seit einem missglückten Sprengstoffexperiment in den Jugendjahren blind ist und seinen Übernamen einem Hund verdankt, der "wie kein zweiter" den Mond anzuheulen pflegte. Dass auch Moondog bei bester Laune ist, versteht sich von selbst: Schliesslich hat er beim Ausflug auf die Alp, wo ihn Touristen glatt mit einem echten Schweizer "Alpöhi" verwechselten, doch tatsächlich ein Mädchen getroffen, das Heidi heisst! "Ein Traum ist wahr geworden", freut sich der Missionarssohn und Pferdeliebhaber aus Wyoming, der sich mit der Natur und den Lebensweisheiten der Indianer verbunden fühlt.

Doch nicht nur der Traum, ein "echtes Heidi" zu treffen, ist für Moondog in Erfüllung gegangen. Wichtiger ist für ihn, dass er heute wieder einmal einige seiner streng nach den Regeln des Kontrapunkts aufgebauten Kompositionen zur Aufführung bringen kann, welche mit ihren repetitiven Abläufen und harmonischen Melodien wahre Trance-Zustände auslösen können. Stephan Eicher machte es möglich, dass der Amerikaner, der mehr als 50 Sinfonien und über 500 jazzig angehauchte, mit swingenden Rhythmen unterlegte Kanons, Songs und Orchesterstücke geschrieben hat, endlich einmal in der Schweiz auftreten kann.

Der Schweizer Popstar, der Moondog vor ein paar Jahren am Musikfestival "Transmusicales" in Rennes kennengelernt und für seine Version vom "Guggisberglied" beigezogen hat, wartete geradezu darauf, den seit 18 Jahren in Deutschland lebenden Amerikaner - "ein Genie" - einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Selbiges blieb dem Mann, der bürgerlich Thomas Hardin heisst und seit den vierziger Jahren in der zeitgenössischen Musikszene herumgeistert, bis heute versagt. Obwohl er schon in den fünfziger Jahren Klassik-Grössen wie Igor Strawinsky und Leonard Bernstein beeindruckte und gar eine Platte mit Julie Andrews produzierte, blieb der skurrile Komponist zeitlebens ein "Outsider".

Statt in Konzertsälen zu dirigieren, trieb sich der von Minimal-Music-Guru Philip Glass, Charles Mingus, Charlie Parker und Paul Simon bewunderte Moondog lieber in New Yorker Strassenschluchten herum, wo er, gekleidet wie ein Wikinger, trommelschlagend, und Gedichte rezitierend Aufmerksamkeit erregte. Das brachte ihm zwar den Ruf eines Originals und einen Kultstatus bei Hippies und Avantgardisten ein, kaum aber umsorgende Freunde und Reichtum. Als Moondog 1974 nach Deutschland dislozierte, war er, trotz einer recht erfolgreichen Platte für CBS (1969), mausarm, und als er nicht mehr in Manhattan auftauchte, glaubten Leute wie Paul Simon lange, er sei halt gestorben.

War er aber nicht - im Gegenteil: Bis heute hat der blinde Künstler, unterstützt von seiner Gönnerin Ilona Göbel, ein riesiges, zum grossen Teil noch zu entdeckendes Repertoire von ungemein faszinierenden Kompositionen geschrieben, darunter etwa einen Kanon für 100 Alphörner. Einen Teil von Moondogs Werk, das Stephan Eicher und dessen Manager Martin Hess auch auf Tonträgern zugänglich machen wollen, kann man sich heute abend in der Winterthurer Altstadt anhören.

Gespielt werden die Kompositionen vom Stadtorchester Winterthur, das durch Hans Kennels "Alphorn-Quartett" und den bekannten Oboisten Henry Schumann unterstützt wird. Die Texte, die ebenfalls von Moondog geschrieben wurden, singt Stephan Eicher, der auch als Conférencier durch den Abend führt. Und Moondog selber wird mit seiner Kesselpauke den Takt angeben und den Mond ersetzen, der diesmal leider nicht voll vom Himmel leuchten wird.