Achim Hebgen
Vorbericht zum Konzert auf dem Stuttgarter Jazz-Gipfel, Donnerstag, 2. Juli 1992



"Moondog? - der ist doch schon lange tot!" Das war die stereotype Antwort für Yale Evelev, den Direktor des "Next Music America"-Festivals 1989, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Moondog zusammen mit John Zorn und Butch Morris in einem Symphonie-Konzert zu präsentieren. Ein dreiviertel Jahr mußte er suchen, dann fand er Moondog: in Oer-Erckenschwick, im Ruhrgebiet. Mit diesem Konzert begann 1989 in New York Moondogs Comeback und somit die späte Anerkennung für eine lange verschollene Legende und einen der eigenwilligsten Komponisten dieses Jahrhunderts. In den 50er und 60er Jahren war er eine New Yorker Institution, Tag für Tag stand der blinde Moondog wie ein Wikinger gekleidet an der Ecke 54.Straße/6.Avenue: langer weißer Bart, wallende Gewänder, in der Hand ein Speer.
Zum Pulsschlag seiner Trommeln trug er eigene Poesie vor und verkaufte seine Kompositionen. Musiker besuchten ihn gerne an seiner Ecke, Arturo Toscanini, Leonard Bernstein, Benny Goodman und Charlie Parker gehörten zu seinen Bewunderern. 1974, nach einem Konzert im Hessischen Rundfunk, blieb Moondog in Deutschland und hier, im "Herzen der europäischen Kulturlandschaft", lebte er viele Jahre fast vergessen.
Moondog ist eine rar gewordene Erscheinung: jemand, der eine ganz eigene Musiksprache gefunden hat: irgendwo zwischen Broadway, Jazz und klassischer Musik, von streng eingehaltenem Kontrapunkt geformt und doch von improvisatorischer Leichtigkeit, getragen von einem (indianischen) Trommelbeat und zum Leuchten gebracht durch berührende Melodien. Der Trommelpuls und zyklische Wiederholungen des strengen Kontrapunktes erzeugen eine gewisse Ähnlichkeit zur Minimal-Music. Philip Glass nennt Moondog "Leader of the pack", er und auch Terry Riley fühlen sich von Moondog beeinflußt. Aber mit seinem Bekenntnis zur "archaischen" kontrapunktischen Form, seinem konsequenten Beharren auf der reinen Tonalität und mit seinem langjährigen Auftreten im Wikinger-Outfit stand er außerhalb der etablierten Musikszene. Selbst seine so viel berühmteren "Fans" aus der Musikszene konnten ihm nur zu gelegentlichen, kurzzeitigen Erfolgen verhelfen.
Erst mit dem Erscheinen seiner neuesten CD Anfang diese Jahres, auf der er mit der Sample-Technik (CD Titel: Elpmas (!)) seine Kompositionen präzise und zeitgemäß umsetzen konnte, hat die Presse ihn wiederentdeckt und ihm teilweise überschwengliche Lobeshymnen gewidmet. Moondogs Auftritt beim Stuttgarter Jazzgipfel ist der Beginn einer größeren Tournee, die Moondog im August durch Europa führen wird.